Das Rennen

3 - 2 - 1 Los

Vom ersten Schritt an haben sich meine Beine super angefühlt und ich war mir sicher, dass das ein gutes Rennen wird. Die ersten Kilometer in einem Marathon sind immer schwierig. Man fühlt sich gut und hat das Gefühl, dass man schneller laufen könnte. Deswegen muss man zu Beginn eines Marathons seine Nerven im Griff behalten und versuchen, ruhig zu bleiben.

Mein Trainer (Ronny/ Lauftraining.com) hat mir einen genauen Fahrplan mit auf den Weg gegeben, an den ich mich halten wollte. Außerdem wurden uns gute Tempomacher bereitgestellt, die auf die Pace geachtet und die anfängliche Nervosität aus der Gruppe genommen haben.

Ich blieb so lange wie möglich in der Gruppe, nutzte Windschatten, lief auf der blauen Ideallinie und war entspannt. Bis zur Halbmarathonmarke verlief alles wie am Schnürchen: alle Favoriten noch zusammen und auf Kurs von 2:17:00 Std.!

Bei Kilometer 23 machte Sebastian Reinwand plötzlich Ernst. Er löste sich ruckartig aus der Gruppe und forcierte das Tempo. Ich fühlte mich stark, aber wusste auch, dass eine solche Tempoverschärfung für mich noch zu früh war. Es bildeten sich nun mehrere kleine Gruppen. Ich sortierte mich weiter hinten ein und lief meine Geschwindigkeit kontrolliert weiter.

Innerhalb weniger Kilometer zog sich das gesamte Feld auseinander, doch niemand konnte sich richtig absetzen. Ich blieb cool und vertraute auf meine Stärken. Ab Kilometer 30 wollte ich loslegen.

Mein Plan ging genau auf. Stück für Stück konnte ich auf die Läufer vor mir aufschließen und erhöhte stetig mein Tempo.

Kurz nach der 30 Kilometer Marke setzte Starkregen ein. Diese Situation erinnerte mich an den Hamburgmarathon 2017 und motivierte mich, den Kampf um die Medaillien der Deutschen Meisterschaft nun aufzunehmen. Ich spürte wie ich immer schneller wurde und hatte nur noch ein Ziel: schnellstmöglich auf Platz 3 vorzulaufen.

Ab Kilometer 35 hielt ich es dann sogar für möglich, um den Deutschen Meisterschaftstitel mitlaufen zu können. Mein Gefühl hatte zu diesem Zeitpunkt nicht getrogen, denn wie ich im Nachhinein erfuhr, waren meine letzten 7 Kilometer die schnellsten aller deutschen Läufer.

Doch Sebastian Reinwand führte immer noch das Rennen an, Tom Gröschel war direkt hinter ihm. An einigen Stellen der Strecke konnte ich beide sehen und schloss näher zu ihnen auf. Bis zur letzten Getränkestation, kurz vor Kilometer 40, lief ich Sekunde um Sekunde an die Spitzengruppe ran.

Ich war jetzt im Tunnel, konzentrierte mich nur nach vorne. Deshalb wusste ich auch nicht, wer hinter mir war. Die letzten zwei Kilometer waren die härtesten, die ich je erlebt habe. Meine Beine wurden immer schwerer und jeder Schritt zur Qual, ich wollte einfach ankommen. Wie nah ich an die EM-Norm ranlaufen oder ob ich sie sogar unterbieten konnte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr.

Eingangs des letzten Kilometers kam die Gewissheit, es nicht mehr an die Spitze zu schaffen, aber ich lag sicher auf Platz 3. Jetzt ging es nur noch um die Zeit, die ich auf der Zielgeraden sehen konnte. Plötzlich war sogar eine Zeit unter 2:16 Std. möglich. Wahnsinn! Aber meine Beine ließen sich nicht mehr kontrollieren. Unbarmherzig liefen die Sekunden über die Anzeige: 57 - 58 - 59- Ziel!!! 42,195 km in 2:16,XX Std.???

Ich hatte es geschafft, 3. Platz bei den Deutschen Meisterschaften 2018 und die Qualifikation für das Marathonteam bei den Europameisterschaften in Berlin. Doch reichte es wirklich, um sicher im Team zu sein? Immerhin waren andere Läufer im Vorfeld ähnlich schnell, nun ging es sogar um Sekunden. Mit einer Zeit unter 2:16 Std. wäre ich sicher. Unsicher und aufgeregt warteten wir auf die Ergebnisse.

Das Geheimnis löste sich jedoch erst bei der Siegerehrung, 2:15:59 Std.! Obwohl mental und körperlich völlig am Ende, war ich überglücklich.

Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, einen solchen Moment mit seinem Team erleben zu dürfen! Es waren einfach alle da, die mich in den letzten 2 Jahren unterstützt und begleitet haben. Ich bin unendlich dankbar!

Mit diesem Lauf habe ich alle Voraussetzungen erfüllt, um für die Europameisterschaften 2018 in Berlin nominiert zu werden. Die offizielle Bekanntgabe des Teams durch den DLV erfolgt am 20. Mai.

Mir schwirren noch immer so viele Gedanken durch den Kopf, alles fühlt sich unwirklich an. Doch zwei Worte beschreiben meine aktuelle Gefühlslage am treffensten, Stolz und Dankbarkeit.

Stolz, es trotz vieler Widrigkeiten geschafft zu haben. Dankbarkeit, ein derart großartiges Team hinter mir zu wissen - WIR haben es geschafft!!!

Herzlichen Glückwunsch an den Deutschen Meister Tom Gröschel und  Deutschen Vizemeister Sebastian Reinwand!